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06.07.2024 | News |

Offener Brief

Streichung Mindestgagen/Honorare für institutionell geförderte Bühnen, u.a. Kinder- und Jugendtheater


Berlin, 19. Juni 2024

Betr.: Streichung des Haushaltstitels 68569 - TA 33, Mindestgagen/Honorare für institutionell geförderte Bühnen, u.a. Kinder- und Jugendtheater

Sehr geehrter Herr regierender Bürgermeister Wegner, sehr geehrter Herr Senator Chialo, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Wedl-Wilson,

die Berliner Kinder- und Jugendtheater fordern den Berliner Senat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt dazu auf, die Streichung des Haushaltstitels 68569 - TA 33, Mindestgagen/Honorare für institutionell geförderte Bühnen, u.a. Kinder- und Jugendtheater - in Höhe von 1,5 Mio Euro zurückzunehmen.

Wir haben in den vergangenen Monaten auf die Schwierigkeiten für unsere Häuser, die sich insbesondere aus der Anpassung der Mindestgagen ergeben, hingewiesen. Das gilt sowohl für freie Gagen als auch für die Umsetzung der Mindestgagen im NV Bühne. Wir haben deutlich gemacht, dass wir anders als andere Häuser diese Mehrkosten nicht über Preissteigerungen an unser Publikum durchreichen können, weil wir uns der Teilhabegerechtigkeit verpflichtet fühlen.

Die Zusicherung des Senats, sich weiterhin für die wichtige Arbeit der Berliner Kinder- und Jugendtheater stark zu machen und die finanziellen Belastungen durch die Gagenanpassungen in Teilen auszugleichen, haben wir als ein Bekenntnis für das vielfältige Berliner Kinder- und Jugendtheater und damit für die Kulturelle Bildung verstanden. Wenn nun die 1,5 Mio. Euro der PMA zum Opfer fallen und wir nicht von einer Stärkung der Budgets ausgehen können, kommt dies defacto einer nachträglichen Kürzung gleich, da die Mehrkosten nur zu Lasten unserer Angebote gedeckt werden können: d.h. weniger Produktionen, weniger partizipative Angebote, weniger kulturelle Teilhabe.

Wenn keine Mittel aus diesem Haushaltstitel mehr zur Verfügung stehen und es ja bereits Kürzungen im KiA-Programm und Kinder- und Jugendkulturbereich gegeben hat, wie will der Senat die Infrastruktur der Kinder- und Jugendtheater erhalten oder das Versprechen der Stärkung der Theater, wie im Koalitionsvertrag formuliert, einlösen?

Außerdem hat die nun fehlende Aufstockung Auswirkungen auf die gesamte Drittmittelfördersystematik, da auch Häuser mit institutioneller Förderung zunehmend auf Förderanträge angewiesen sind, um ihre Produktionen zu realisieren. Der Wettbewerb um Förderungen nimmt zu, so dass in Summe nicht mehr auskömmlich gefördert werden kann und die Förderquoten sinken. Beides sind Entwicklungen, die einer gerechten Förderpolitik und Kulturförderung entgegenstehen. Gleichzeitig sind die Antragsteller*innen gehalten, die Mindestgagen/-honorare zu zahlen. Kleinen und mittleren Kinder- und Jugendtheater mit eigenen Ensembles und Repertoirebetrieb fehlen Programmmittel, um ihre eigenen Inszenierungen zu zeigen und die Häuser, deren Produktionen mit künstlerischen Gästen entstehen, können nur noch Gastspiele geförderter Produktionen zeigen. Über Jahrzehnte gewachsene Repertoirestrukturen drohen sich aufzulösen, obwohl es ein Publikum gibt und auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit das Repertoire sinnhaft ist.

Parallel sind auch die mobilen Theater, die die stadtweite kulturelle Versorgung von Kindern und Jugendlichen gewährleisten, von den geplanten (deutlich über 2% liegenden) Kürzungen im KiA-Programm betroffen. In vielen Bezirken wird aufgrund der Kürzungen bei gleichzeitig steigenden Honorarempfehlungen nur noch 1 anstatt 3-4 Vorstellungen pro Aufführungsserie gefördert. Auch diese Entwicklung ist alles andere als nachhaltig und trifft die kleinen Kinder- und Jugendtheater existenziell.

2022 lebten in Berlin laut Statistischem Bundesamt knapp 740.000 Menschen im Alter zwischen 0 und 18 Jahren. In 2023 haben allein die institutionell geförderten Kinder- und Jugendtheater für mindestens 250.000 Kinder und Jugendliche gespielt und viele weitere mit einem vielfältigen Angebot theaterpädagogischer Angebote erreicht. Das sind mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung dieser Altersgruppe. In der Evaluation des Kinder- und Jugendtheaterzentrums der Berliner Kinder- und Jugendtheaterlandschaft 2019 wurde erhoben, dass alle Theater zusammen 545.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erreichen, darunter 480.000 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Hier zeigt sich auch noch einmal die Bedeutung der vielen kleinen und nicht institutionell geförderten Häuser, die in vielen Statistiken gar nicht auftauchen.

Wir haben nach Corona schnell an die Besucher*innenzahlen der Vor-Corona Zeit angeschlossen und leisten einen essentiellen Beitrag zur kulturellen Grundversorgung für Kinder und Jugendliche. Wir sind mit unseren Angebote verlässliche Partner*innen für Kitas und Schulen. Wir bringen innovative Theaterkunst und gesellschaftspolitisch relevante Themen auf die Bühne. Angesichts der teilweise drastischen Kürzungen im Bereich der allgemeinen Jugendarbeit und der politischen und kulturellen Bildung auf Landes- und Bundesebene sind wir als Kinder- und Jugendtheater mehr gefordert denn je, Teilhabe und Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Mehr denn je müssen wir mit unseren Programmen Orientierung geben, was zuletzt ja auch die Ergebnisse der Europawahl eindrücklich gezeigt haben, bei der die AfD bei den 16 bis 24 Jährigen um 11% zugelegt hat im Vergleich zu 2019. Durch das Sparen in der kulturellen und politischen Bildung setzen wir dem nichts entgegen. Wir Theater aber haben Einfluss. Michel Friedmann beschrieb es in seiner Rede auf der Landeshauptversammlung des Bühnenvereins am 14.6.24 in Bielefeld so: “Du gehst raus, anders als du reingegangen bist.”

Für Gespräche stehen wir gerne zur Verfügung. Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und verbleiben mit besten Grüßen

Der Arbeitskreis der Berliner Kinder- und Jugendtheater

Arbeitskreis der Berliner Kinder- und Jugendtheater - akkiju.berlin@gmail.com
bestehend aus:
ATZE Musiktheater - Thomas Sutter & Matthias Schönfeldt
DAS WEITE THEATER für Puppen und Menschen e.V. - Björn Langhans
Figurentheater Ute Kahmann
GRIPS Theater - Philipp Harpain & Andreas Joppich
Schaubude Berlin - Tim Sandweg
TANZKOMPLIZEN - Livia Patrizi
Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin - Christina Schulz & Alexander Riemenschneider
Theater Jaro - Katja Pölzer
Morgenstern - Theater im Rathaus Friedenau - Pascale Senn Koch & Daniel Koch
Theater o.N. - Dagmar Domrös, Doreen Markert & Vera Strobel
Theater Strahl - Karen Giese & Anna Vera Kelle & Matthias Kelle