Über den Kiezrand hinaus: Partizipative Projekte
Die Arbeit am Theater und mit den Mitteln des Theaters bedeutet für uns, interessiert zu sein, wachsam, neugierig auf die Welt und den Austausch mit ihr! Dafür braucht es mehr, als nach einer beendeten Vorstellung lediglich die Krümel von den Sitzpolstern zu wischen.
Seit vielen Jahren arbeitet das Theater o.N. in unterschiedlichen Konstellationen mit Kindern und Jugendlichen zwischen zwei und zwanzig Jahren. Zunächst waren wir hauptsächlich in Berlin Marzahn-Hellersdorf aktiv, seit vielen Jahren sind wir darüber hinaus in Berlin Lichtenberg und in Berlin Treptow-Köpenick tätig, temporär erweitert um die Bezirke Kreuzberg, Neukölln, Wedding, Moabit und Spandau im Rahmen anderer Projekte.
Wir finden, dass die Stimmen von Kindern gerade aus den Berliner Außenbezirken und von Kindern mit marginalisierten Perspektiven und Diskriminierungserfahrungen auf den Berliner Bühnen unterrepräsentiert sind. Wir sind ebenso davon überzeugt, dass jeder Mensch schöpferisches Potential in sich trägt! Es ist absolut einsehbar, dass nicht jede*r es bergen möchte. Aber denen, die ahnen, dass da etwas schlummert, möchten wir die Hand reichen, sie daran erinnern, freundlich drängen, Mut machen, anregen, eine Brücke bauen. Dafür nutzen wir unterschiedliche Projektformate und erfinden immer wieder neue.
Unsere künstlerischen Projekte richten sich an Kinder in Kitas, Grundschulen sowie an Jugendliche und junge Erwachsene.
Ziel unseres Tuns ist es, uns gemeinsam mit den Teilnehmenden unserer Projekte die Welt zu erschließen und die eigene Biografie als relevant und veränderbar zu erleben. Wie auch in unseren eigenen Inszenierungen arbeiten wir mit den Kindern und Jugendlichen mit der Methode des Biografischen Theaters sowie der ästhetischen Forschung und entwickeln gemeinsam mit ihnen Stücke und Performances zu von ihnen gewählten Themen. Mit den jüngeren Kindern zwischen zwei und vier Jahren verstehen wir die künstlerische Arbeit noch elementarer und forschender. In der Arbeit mit ihnen geht es darum, einen ersten Kontakt mit den darstellenden Künsten sowohl partizipativ als auch rezeptiv anzubahnen. In dieser Altersgruppe nehmen wir die Bezugspersonen der Kinder als wichtige Verstärker und Resonanzkörper wahr – mit dem Potenzial, das von den Kindern Erlebte zu fördern.
„Sich auf den Weg machen“ ist zu einem ganz konkreten und zugleich sinnlichen Bild unserer Arbeit geworden. Darin spiegelt sich unser Anspruch wider, die Welt jenseits unserer gutsituierten Kiez-Grenzen zu erforschen und diejenigen zu erreichen, die mutmaßlich keinen oder nur wenig kulturelle Angebote in ihrer Nähe verfügbar haben. Dieses „Aufeinanderzubewegen“ ist etwas, was wir auch den Teilnehmenden unserer Projekte abverlangen, wenn sie sich einlassen auf die inhaltlichen und ästhetischen Suchbewegungen in den Probenprozessen und der Entwicklung einer Frage, einer Vorliebe, eines Satzes, einer Haltung, einer eigenen Meinung, einer neuen Perspektive auf das Lebenswerk Identität oder einer Inszenierung. Wie auch in der Arbeit für die Jüngsten beschäftigt uns nach mehrjährigen Erfahrungen immer wieder die Frage, wie wir uns auf Augenhöhe annähern können, wie wir uns begegnen und künstlerisch miteinander arbeiten können.
Neben den Ansätzen der Ästhetischen Forschung nach Helga Kämpf-Jansen sehen wir für uns die partizipative Forschung im Kinder- und Jugendtheater zunehmend als Möglichkeit, intergenerationelle gemeinsame künstlerische Erforschung von Gesellschaft - und Auseinandersetzung mit dieser - zu praktizieren. Partizipative Forschung im Kinder- und Jugendtheater agiert an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Wir unterstützen das Manifest des Netzwerkes Forschung im Kinder- und Jugendtheater (kurz: FKJT), das u.a. zum Ausdruck bringt, dass „[…] partizipative Forschung im Kinder- und Jugendtheater […] das Potenzial [hat], alle Teile der Gesellschaft in ein gemeinsames Nachdenken und Experimentieren zu bringen, eine Vielzahl von Institutionen in sozialen, wissenschaftlichen und anderen Feldern zu beteiligen und diverse Öffentlichkeiten hervorzubringen. Die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen dient dabei nicht nur ihnen selbst, sondern ermöglicht auch den beteiligten Erwachsenen und Institutionen wichtige Lernprozesse: die Wertschätzung heterogener Gruppen, die Erprobung inklusiver Verfahren und die gezielte Entwicklung von Diversität. Partizipative Forschung mit Kindern und Jugendlichen setzt sich für ein Recht auf Forschung ein, das die Perspektive und die Expertise aller Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen achtet. Partizipative intergenerationelle Forschung ist ein geeigneter Weg, Kindern und Jugendlichen mehr gesellschaftliche Mitsprache zu geben und politische Partizipationsprozesse zu initiieren und zu begleiten.“
Aktuelle Partizipative und forschende Formate des Theater o.N.
FRATZ Begegnungen
Die FRATZ Begegnungen sind fester Bestandteil der Gesamtkonzeption von FRATZ International - einem Festival, das vom Theater o.N. veranstaltet wird und wegweisende Inszenierungen für die Altersgruppe der 0,5-6jährigen präsentiert. In einem Workshop-Programm mit mehreren Kita-Gruppen in verschiedenen Berliner Bezirken finden künstlerischen Begegnungen zwischen Kindern, Eltern, Erzieher*innen, Theaterpädagog*innen und Künstler*innen statt. Dem Konzept der FRATZ Begegnungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass Theater außerordentlich gut geeignet ist, ein Bewusstsein für die eigenen Wirkmöglichkeiten zu entwickeln. Mit den Begegnungen werden Kunst-Räume geöffnet. Es sind Spiel- und Experimentierräume für Kinder und Erwachsene, in denen Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten ausprobiert und auf Tauglichkeit getestet werden können. Neben dem ästhetischen Vergnügen kann das Kind in diesen geschützten Räumen Teilhabe erfahren und vielleicht das erste Mal mit Theater in Kontakt kommen. Für die Kinder finden mehrere künstlerische Begegnungen statt. Höhepunkt des Programms ist der Besuch eines Gastspiels im Rahmen des Festivals in ihrem eigenen Kiez. Kurz zuvor lernen die Kinder bereits »ihre« Künstler*innen kennen, wenn diese sie in ihrer Kita besuchen und einen Workshop in Zusammenhang mit ihrer Inszenierung geben.
Künstlerische Kollektive
Die Arbeitsweise in den Inszenierungsprojekten mit den Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren kollektiver geworden. (Gast-)Künstler*innen des Theater o.N. recherchierten in den Stückentwicklung „FEUER!“ und „Wie kann ich stehen in einer Welt, die kippt?“ mit Schüler*innen einer Grundschule und standen gemeinsam mit ihnen auf der Bühne, alle waren gleichsam aufeinander angewiesen.
Diese Arbeitsweise führten wir fort in dem Projekt Künstlerische Kollektive, was angelegt über zwei Jahre von Aktion Mensch und der Sparkassenstiftung Berlin gefördert wurde (2021/22). Wir arbeiteten in Kooperation mit einer Sekundarschule im Wedding und einer Förderschule in Treptow-Köpenick und bildeten jeweils kleine künstlerische Kollektive zwischen Künstler*innen und bis zu 6 Schüler*innen, die gemeinsam eine Performance entwickelten und performten. Diese wurde einerseits im Schul- und Kiezkontext präsentiert und andererseits auf dem Abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle 37 und im Theater o.N. zur Aufführung gebracht. Derzeit entwerfen wir ein neues Projektformat und informieren u.a. an dieser Stelle, in welchen Kollektiven wir zukünftig gemeinsam forschen und Theater machen.
Das Theater o.N. in den Formaten TUSCH, TUKI Tandem und TUKI Forschertheater
Neben unseren selbst konzeptionierten Projekten wirken wir gleichfalls in den berlinweiten Programmen TUSCH, TUKI Tandem und TUKI Forschertheater mit.
TUSCH – Theater und Schule
TUSCH Berlin initiiert, finanziert und betreut dreijährige Partnerschaften zwischen Berliner Schulen und Theatern, schafft einen gemeinsamen Raum für kreative Prozesse und ästhetische Erfahrungen und fördert so die kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen.
Unsere aktuelle Kooperationsschule ist die Albatros-Schule, ein Sonderpädagogisches Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung" in Berlin Oberschöneweide / Treptow-Köpenick. Seit der Spielzeit 2023/24 arbeiten hier Julia Vandehof (Theatermacherin, Schauspielerin) und Gwendolyn Noltes (Bühnen- und Kostümdesignerin) mit Schüler*innen der Mittelstufe zusammen.
TUKI – Theater und Kita
TUKI – Theater & Kita initiiert und gestaltet seit 2011 berlinweit Partnerschaften zwischen Theatern und Kitas, bei denen die Begegnung der Jüngsten mit der Darstellenden Kunst im Mittelpunkt steht. Ob als Zuschauer:innen, künstlerisch Forschende, Spieler:innen oder Gestalter:innen – das zentrale Anliegen von TUKI ist, Kindern zwischen zwei und sechs Jahren vielseitige ästhetische Erfahrungen mit dem Theater zu ermöglichen und sie dabei behutsam zu begleiten und in ihren Fragen und Anliegen ernst zu nehmen.
Das Theater o.N. ist derzeit an den Projektformaten TUKI Tandem, TUKI Forschertheater und TUKI Bühne beteiligt.
TUKI Tandem
TUKI Tandem verankert im Wechsel zwischen „Theater sehen“ und „Theater machen“ die Theaterkunst als Schwerpunkt in den Kitas und gibt den Theatern Impulse in der künstlerischen Arbeit für ein ganz junges Publikum. Im Rahmen von TUKI Tandem arbeiten wir seit der Spielzeit 2023/24 mit der Kita Nestwärme in Berlin Kreuzberg zusammen. Unser Ensemblemitglied Andreas Pichler, Musiker und Performer, kreiert, entwickelt und erprobt vor Ort gemeinsam mit den Jüngsten unter anderem auditive Theatererfahrungen.
TUKI Forschertheater
TUKI Forschertheater verbindet seit 2014 als experimentelles und exploratives Theaterformat den Wissensdurst der Kinder mit ästhetischen Erfahrungen. Ausgehend von den Wünschen der Kinder werden fiktive und reale Phänomene untersucht und künstlerisch erfahrbar gemacht. Die Künstler*innen Julia Gotzmann (Clownin und Theaterpädagogin) und Pauri Röwert (Theatervermittler*in) forschen in diesem Projekt gemeinsam mit den Kindern der Kita Lebenshilfe in Berlin Neukölln.
www.lebenshilfe-berlin.de/de/kinder-jugendliche/lebenshilfe-ikita.php
TUKI Bühne
Bei TUKI Bühne geht es darum, aus der forschenden Arbeit mit Kindern heraus, eine performative Arbeit für Kinder zu entwickeln. Pauri Röwert, Fia Neises (Performer*in, Tänzer*in) und Julia Gotzmann werden aus der Arbeit im TUKI Forschertheater 2025 eine neue Inszenierung für Kinder entwickeln.